Veröffentlicht in:
Newsletter: Eichstätt-Kieler Projekt zu Immersion und Bilingualem Unterricht (Prof.Dr.Hunefeld u. Prof. Dr. Wode); Heft Juni 1993 (6).
0. EINLEITUNG
Der bilinguale
deutsch-spanische Unterricht richtet sich an zwei Vorgaben aus, die
eine ist der curriculare Anspruch des Sachfachs, die andere zeigt
sich in den spezielle Anforderungen der Fremdsprache im Hinblick auf
die herauszubildende bilinguale Kompetenz. Schon hier ergibt sich
zwangsläufig eine Reibungsfläche, denn die Lerner im
bilingualen Bildungsgang können zum Zeitpunkt des Einsetzens des
bilingualen Sachfachs Erdkunde in Klasse 7 in der Fremdsprache nicht
über die sprachlichen Register verfügen, die sie im Laufe
ihres Lebens und im schulischen Rahmen muttersprachlich erworben
haben. Zwei Wege, bieten sich an, einer ist richtlinienkonform [1],
der andere könnte zu einer Alternative werden.
1.
EINHEITICHE RICHTLINIEN FÜR ZWEI UNTERRICHTSVARIANTEN
Durch
den Anspruch, den die Richtlinien des Fachs Erdkunde [2] in NRW an
alle Schüler der Sekundarstufen formulieren, wird die
Vergleichbarkeit der Inhalte, Methoden und Kenntnisse anstrebt. Sie
garantieren in der Abiturprüfung, daß Schülerinnen
und Schüler mit einem vergleichbaren und hinreichend
standardisiertem Wissensstand ihre schulische Ausbildung abschließen.
Diese ist gleichzeitig als Propädeutik für ein
fachwissenschaftliches Studium angelegt.
Über diese engen Grenzen hinaus, soll die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler in emanzipatorischer Hinsicht herausgebildet werden. Im bilingualen Sachunterricht [3] kann nur in dem Umfang Unterricht in der Zielsprache durchgeführt werden, als daß curriculare Ansprüche nicht reduziert werden. Somit wird sich der fremdsprachliche Sachunterricht nur auf solche Lerneinheiten beziehen können, die aufgrund sprachlicher Vorbereitung durch allgemeine Sprachlernprozesse im Sprachfach und ab Klasse 7 im Sachfach (eine Unterrichtsstunde Zuschlag) möglich sind. Zwangsläufig, um dem Anspruchsniveau eines wissenschaftlichen Fachs gerecht zu werden, müssen weite Teile des Erdkundeunterrichts in deutscher Sprache gehalten werden, wobei natürlich der fremdsprachliche Anteil progressiv ausgebaut werden soll.
So ist es relativ leicht, den Schülern thematisch
orientierte Lexik zu vermitteln, die nach und nach dazu führt,
daß sich ihr Allgemeinvokabular zusätzlich zum
Fachvokabular erweitert. Interessant ist hier nur der didaktische Ort
[4] und die methodischen Verfahren, die einer weitergehenden
Betrachtung an anderer Stelle bedürfen. Unterricht ist aber
nicht nur lexikorientiert. Das Vokabular ist nur Hilfsmittel,
Vorgänge zu beschreiben und zu erklären,
Bedingungszusammenhänge zu erkennen und zu verbalisieren,
Hypothesen zu bilden, sie darzustellen und zu diskutieren.
Dem deutschen Schüler, der Erdkundeunterricht in deutscher Sprache leisten muß, bietet sich die Bipolarität des Fachs und des Denkens. Schülerinnen und Schüler im bilingualen Bildungsgang durchlaufen eine weitere Verzweigung.
MUTTERSPRACHLICHES MODELL
Wie aus dem folgenden
Modell im Grobmuster erkenntlich wird, ist der Gesamtlernprozeß,
der als Ziel Sach- und Verhaltenskompetenz in deutscher Sprache
ausweisen soll, bei weitem nicht sach-/erdkundespezifisch
eindimensional. Vielmehr werden eine Reihe von sprachlichen
Fertigkeiten vorausgesetzt, die den personal comunication skills [5]
entsprechen, die um cognitive/academic proficiency [6] angereichert
werden. Letztere erfährt durch die Herausbildung der Fachsprache
im Fach Erdkunde eine Erweiterung. Alle sprachlichen Lernfortschritte
werden im
"normalen Erdkundeunterricht" nur unter dem
Aspekt des Unterrichtsfachs wahrgenommen und in eine Wertung
eingebracht. Zu den sprachlichen Lernfortschritten des Unterrichts,
die sich zur muttersprachlichen Kompetenz für das Sachfach
kristallisieren, gesellen sich die fachlichen Bereiche im engeren
Sinne, der Wissens- und Methodenerwerb, die Erkenntnisse, der
Perspektivenwechsel, die den Schüler letztendlich zu
Verhaltensdispositionen befähigen. Erst durch die Verbalisierung
aufgrund muttersprachlicher Kompetenz wird für den Lehrenden das
Lernziel, die Sach- und Verhaltenskompetenz erkenntlich, überprüf-
und bewertbar.
So einfach diese Darstellung auch ist, so kommt ihr
erst Bedeutung zu, wenn sie vom Fachlehrer bewußt durchschaut
wird, denn nur über die Erkenntnis dieser Vorgänge ist eine
Wertung muttersprachlichen und bilingualen Lernens möglich.
BILINGUALES
MODELL
Sehr viel komplexer stellt sich das bilinguale
Modell dar, denn es strebt eine Parallelität im sprachlichen
Bereich an, die in der Verknüpfung mit den sachorientierten
Elementen als Ziel die bilinguale Sach- und Verhaltenskompetenz
ausweist.
Aber so, wie die rein sprachlichen Parameter für den
deutschen Erdkundeunterricht gesetzt werden müssen, so bedarf es
auch einer wohl bedachten und behutsamen Setzung für den
zweitsprachlichen Bereich, der, was die cognitive/academic
proficiency angeht, nur elementar allgemeinschulisch in den Klassen
5-6 angelegt wurde. Die personal language skills, die bei unserer
Zielgruppe für den deutschen Unterricht allgemeinsprachlich zur
Verfügung stehen, sind zweitsprachlich nur durch Unterricht und
punktuell durch persönliche Kontakte (Schüleraustauch /
Ferienerfahrung) zur Verfügung gestellt.
Auch wenn die
unterrichtsrelevante Lexik vorhanden ist, die grammatischen Register
weitgehend aktiv und passiv beherrscht werden, fehlt den Schülerinnen
und Schülern das elementare sprachliche Fundament, das sie in
der Erstsprache langfristig in außerschulischen und schulischen
Bereichen angelegt haben, und das sie in der Erstsprache befähigt,
spontane gedankliche und sprachliche Verknüpfungen auf der
Grundlage des Sachfachs vornehmen zu können.
Folglich kann die Zweitsprache in der Anfangsphase des bilingualen Sachunterrichts nur reduziert verwendet werden, d.h. sie sollte nur dort ihren didaktischen Ort finden, wo der Fachunterricht bilingual lexikalisch vorbereitet ist und in der gedanklichen Bewältigung der zu versprachlichen Inhalte nur das Maß an Überforderung verlangt, das den Lernfortschritt stimuliert aber nicht behindert.
Während im Modell des deutschen Erdkundeunterrichts die meisten allgemeinsprachlichen Voraussetzungen als erfüllt gelten können und hier nur noch eine Bereicherung in der Expansion der Fachsprache stattfindet, müssen im bilingualen Modell alle sprachlichen Fertigkeiten konstant eingeübt werden. Das soll nicht heißen, daß Sprachunterricht im engeren Sinne geleistet wird, sondern, daß Hörverstehen, Lese-, Schreib- und Sprechfertigkeit so bewußt geübt werden, wie sie unbewußt ihren Platz im einsprachigen Sachfachunterricht einnehmen.
Neben der Übung der Grundfertigkeiten, die Sprache
internalisiert und auch für mentale Vorgänge verfügbar
macht, erfolgt eine konstante Anreicherung der Fachterminologie in
der Zweitsprache in Verbindung mit dem erstsprachlichen Pendant.
Gemäß der unterrichtlichen Progression gelangen
Schülerinnen und Schüler zur Herausbildung ihrer Fähigkeit,
auf der Grundlage des Sachunterrichts Erkenntnisse in der
Zweitsprache zu gewinnen, zu formulieren und Perspektivenwechsel
vornehmen zu können. Mit zunehmender zweitsprachlicher Kompetenz
laufen Denkprozesse spontan in weiten Bereichen des Unterrichts mit
dem Ziel, die vollständige bilinguale Sach- und
Verhaltenskompetenz, wie sie in den Richtlinien gefordert sind, zu
erreichen. [7]
Um Schülerinnen und Schülern des
bilingualen deutsch-spanischen Zuges nicht zu überfordern, hat
die Handreichungskommission die Anzahl der Sachthemata, die für
den Normalzug gelten, stark reduziert. Der Zeitgewinn wird benötigt,
weil teilweise redundanter aber auch kleinschrittiger gearbeitet
wird, was zu einer stärkeren Verfestigung der Lerninhalte führt.
Gleichzeitig wird durch den bilingualen Unterricht intensiver im
Bereich der Methodik und der Fachsprache (deutsch-spanisch)
gearbeitet.
Der gesamte Unterricht steht unter dem Primat der
fundierten fachwissenschaftlichen Ausprägung, der exemplarisch
und progressiv das Fach so aufbaut, daß die Richtlinien
beidseitig, d.h. sachfach- und bilingual-sprachspezifisch erfüllt
sind.
EINE ALTERNATIVE
Neben dem geschilderten
richtlinienkonformen Verfahren gibt es aber auch noch andere
Möglichkeiten, die dem Immersionsgedanken näherliegen. Es
handelt sich keineswegs um obskure und verschlungene Pfade der
Immersion, wie es der eine oder andere Fachdidaktiker meint.
Schon die Beschreibungen des muttersprachlichen und des bilingualen Modells zeigt, daß Didaktiker aller Fächer bewußt berücksichtigen sollten, daß ihre Fächer ohne Sprache nicht hinreichend weder lehr- noch lernbar sind. Daraus resultiert die Forderung, auch im Hinblick auf den Schulerfolg von Schülerinnen und Schülern, eine bewußte sprachliche Förderung in allen Unterrichtsfächern anzustreben.
Darüber hinaus ist es durchaus denkbar, daß bilinguale
Unterrichtsmodelle in einem definierten Umfang von den Richtlinien
des Sachfachs für den normalen Unterricht Abstand nehmen. Eine
curricular eigenständige Phase von Klasse 7 bis Klasse 10 würde
sich von dem Zwang der immerwährenden Parallelität des
fachwissenschaftlichen Anspruchs zwischen bilingualem und normalen
Schulangebot lösen. Da es zum Alltag der fremdsprachlichen
Ausbildung gehört, daß Schülerinnen und Schüler
sich in der Fremdsprache nicht so komplex verbalisieren können
wie in ihrer Muttersprache, wäre auch für den bilingualen
Sachunterricht in der Aufbauphase ein Niveau möglich, das knapp
über dem Sprech- und spontanen Denkvermögen der Adressaten
liegt. Ab Klasse 7 ist der Anteil der Spracharbeit sachfachorientiert
vorrangig. Lernziel ist die Befähigung der Lerner zu spontaner
Kommunikation aufgrund von Denkakten in der Zweitsprache, die sich
vom Einfachen zum Komplexen entwickeln. In Klasse 9 müssen die
Fertigkeiten in der Zweitsprache so entwickelt sein, daß der
themengebundene Denk- und Sprachanteil auf dem gleichen Niveau steht,
wie im deutschsprachigen Unterricht. Ab diesem Moment bekommt der
Unterricht den altersspezifisch angemessenen fachwissenschaftlichen
Anspruch und arbeitet im Hinblick auf die Erfüllung des
fachcurricularen Anspruchs zum Abschluß der Klasse
10.
GRUNDLEGENDE ANREGUNGEN UND
DISKUSSIONSVORSCHLÄGE FÜR DEN
UNTERRICHT
1.Unterrichtssprache ist die
Zweitsprache.[8]
2.Alle Materialien liegen in zweitsprachlichen
Texten vor.
3.Unterrichtsgegenstände werden didaktisch so
reduziert, daß sie in der Zweitsprache bearbeitet werden
können.
4.Der Unterricht ist stark medienorientiert, d.h.
durch Bildimpulse (in der Anfangsphase vorwiegend Video) werden Denk-
und Sprechanlässe geboten. [9]
5.Neben dem deutschen
Geographieverständnis werden kulturbedingte Unterschiede zu
demjenigen der Nationen der Zweitsprache thematisiert und aus der
jeweiligen Persepktive analysiert und bewertet.
6.Durch geeignete
Übungen sollen die Lerner zum abstrahierenden Denken in der
Zweitsprache zwecks Erwerb von Problemlösungsstrategien
angeleitet werden.
--------------------------
[1]angesprochen
sind die Richtlinien Erdkunde für die Sekundarstufe I, die in
NRW kurz vor der Veröffentlichung stehen.
Die
Handreichungskommission für das bilinguale spanisch-deutsche
Sachfach Erdkunde orientiert sich z.Z. an den ihr vorliegenden
Entwürfen.
[2]hier: Gymnasium, Sekundarstufe I Vorläufige
Richtlinien;Erdkunde
in Nordrhein - Westfalen, Kultusminister des
Landes NRW (ed.), Heft Nr. 3408, Greven Verlag. Köln
1978.
[3]Kultusminister NRW (ed.): Bereinigte Sammlung der
Schulvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen -BASS-. Frechen:
Ritterbach 13-25 Nr. 7 und 13-32
[4]Erfahrungsgemäß
eröffnet sich hier ein weites Feld mit sehr
verschiedenen
Möglichkeiten, die je nach persönlicher Schwerpunktsetzung
Sinn erhalten. Wegen der Komplexität bedarf dieser Punkt jedoch
eigener Erörterung.
[5]Cummins,J: "Linguistic
interdependence and the educational development of bilingual
children". In:Review of Educational Research 49 (1979,p.
222-251.
[6]Cummins, ibidem.
[7]vergl. Kultusminister,
Richtlinien Erdkunde.
[8]Die ausschließliche Verwendung der
Zweitsprach soll die Lerner veranlassen, gedankliche und sprachliche
Flexibilität zu erlangen. Die Notwendigkeit zur Kommunikation
und der Wille sich mitzuteilen, sind Moventes für die geistige
Entwicklung der Kinder.
[9]Die hohe sprachliche und inhaltliche
Anforderung der einsprachigen Videos ist aufgrund der
Bildunterstützung ideal für den Einsatz ab Klasse
7.
Bibliographie
Cummins,J:
"Linguistic interdependence and the educational development of
bilingual children". In:Review of Educational Research 49
(1979),p. 222-251.
Endt,E. "Mehrsprachiger Unterricht
in Europa" In Newsletter. Eichtätt-Kieler Projekt zu
Immersion und bilingualem Unterricht. Dez. 1990.
Felix,SW.
"Natürliche Zweitsprachenerwerb, Ein Überblick. In:
Studium Ling. 4 (1977) p.25-40.
Graf: P.:Frühe
Zweisprachigkeit und Schule. Empirische Grundlagen zur Erziehung von
Minderheitenkinder. München: Hueber 1987.
Lieskounig,J.:"Durch
Bilder zur Sprache? -Überlegungen zur Problematik visueller
Mittel in Lehrwerken Deutsch als Fremdsprache." In: Zielsprache
Deutsch 2-1988. München:
Hueber 1988, p.2-8.
Kultusminister
NRW (ed.): Bereinigte Sammlung der Schulvorschriften des Landes
Nordrhein-Westfalen -Bass-. Frechen: Ritterbach. 13-25 Nr.
7.
-ibidem. 13-32.
Kultusminister NRW
(ed.):Gymnasium, Vorläufige Richtlinien -Erdkunde, Heft
3408, Köln: Greven Verlag, 1978.
Mäsch, N.:
"Bilingualer Sachunterricht". In Bausch/Christ u.a. (ed.):
Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Francke, 1989,
p.280-283.
Stölting,W.:"Affektive Faktoren im
Fremdsprachenunterricht" In: Apeltauer,E. (ed.): Gesteuerter
Zeitsprachenerwerb. Voraussetzungen und Konsequenzen für den
Unterricht. München: Hueber, 1997 p.99-110
Wefers, E.:
"Erfahrungsbericht über den bilingualen deutsch-spanischen
Zug am Albert-Schweitzer-Gymnasium Hürth" in: Hispanorama
58/59 (1991). p.143-144/ 133-137.
Wefers, E.: "Der
deutsch-spanische Bildungsgang am Albert-Schweitzer-Gymnasium der
Stadt Hürth. Unveröffentl. Vortrag bei der Veranstaltung:
Lernen für Europa/Interschul- Bilingualer Unterricht am
Gymnasium -Konzepte und Praxis. Dortmund 1992.
Wefers,
E.:"Spracherwerb im bilingualen deutsch-spanischen
Bildungsgang: Ideen-Ansprüche-Wirklichkeit" (Vortrag beim
FMF-Kongreß Freiburg 1992); veröffentlicht in A. Raasch
(ed:) SALUS, Saarbrücken 1993. Wode,H.:Psycholinguistik.
Eine Einführung in die Lehr- und Lernbarkeit von Sprachen.
München: Hueber, 1988.